ein Blog, der die Ergebnisse der Recherche „You’ll Never Walk Alone“ der MS Schrittmacher um das Thema der veränderten Choreographie des Alltags seit dem Ausbruch von Covid-19 versammelt.
Spätestens seit dem März 2020 hat sich unser Alltag stark verändert. Wir gehen weniger aus dem Haus, wir verlassen unseren Wohnort seltener und unser Kontakt zu anderen Menschen nimmt ab, oder ist stark eingeschränkt.
Es gibt weniger Ziele, die wir ansteuern, seit wir im Homeoffice arbeiten, seit Orte der Begegnung und sozialer Interaktion geschlossen sind und wir unsere Verwandten nicht mehr besuchen. Die Entfernungen, die wir täglich und wöchentlich zurücklegen, verringern sich. Doch auch die Wege und Orte, die wir betreten, sind andere geworden. Wir nehmen das Fahrrad statt der Bahn, wir gehen spazieren statt in Cafés zu sitzen und wir fliegen weniger.
Eine dritte Komponente, die sich verändert hat, ist das Verhältnis der Körper auf den Wegen und Strecken zueinander. Menschenansammlungen werden ohnehin vermieden, aber auch die Begegnung zweier fremder Spazierender auf einem engen Weg hat sich verändert, wird zu einem Tanz des Ausweichens ohne Worte, des Anlächelns ohne Mund und des hastig Weitereilens.
Noch fremdartiger erscheint uns oft das Aufeinandertreffen mit vertrauten Menschen. Die Gesten von Händeschütteln, Abwinken, Wangenküssen, Umarmung antäuschen, oder einer solchen Ausweichen werden begleitet von entschuldigenden Lauten und unserem unsicheren Gelächter, das zeigt; wir wissen nicht mehr wissen, wie wir einander begegnen sollen. Wir müssen neu lernen unseren eigenen Körper, die der anderen, die Entfernungen zwischen ihnen und die Räume, in denen wir uns befinden, einzuschätzen und anzuordnen, um den erforderlichen Abstand einzuhalten. Nicht jeder/m fällt das leicht, nicht jede/r hat ein Gespür dafür.
In der Pandemie wird dem Bewusstsein für den eigenen Körper eine Verantwortung für die der anderen hinzugefügt und jeder private Gang durch den öffentlichen Raum hat gesellschaftliche Relevanz. Zudem erfährt der Körper eine enorme und abrupte Reduktion von körperlicher Nähe. Entfernung voneinander und Solidarisierung zueinander müssen parallel praktiziert werden, eine Aufgabe, an die sich eine Gesellschaft erst neu gewöhnen muss, die anstrengend ist, die frustriert.
Frustration entsteht außerdem da, wo sich andere nicht den neuen Aufgaben annehmen und sich aus Angst, fehlender Flexibilität und Unmut gegen die neuen Regelungen sperren und damit die Arbeit und Anstrengung aller anderen zu gefährden drohen. Die Aussichten auf Umbruch und neue Chancen, die eine Krise implizit mit sich bringt, werden dadurch verdüstert, Optimismus und Antrieb drohen von Müdigkeit eingeholt zu werden.
Die veränderten Bedingungen haben besonders Auswirkung auf alle, deren Körper sich bereits vor der Pandemie in speziellen, kritischen oder prekären Situationen befanden. Sexarbeiter*innen und Obdachlose, Menschen mit Vorerkrankung oder Einschränkung, Arbeiter*innen am Fließband und Menschen, die in Pflege oder Medizin die Körper anderer versorgen. Das Brennglas des Virus bringt alle bereits bestehenden Leerstellen und Missstände der Gesellschaft überdeutlich hervor.
Wir haben uns mit der veränderten Choreographie des Alltags an verschiedenen Orten und Institutionen beschäftigt, zu Fragen von Mobilität, Isolation und Kommunikation recherchiert und die Ergebnisse auf dieser Website versammelt. Gemeinsam haben wir einen Fragebogen entwickelt, den verschiedene Menschen für uns in Interviews beantwortet haben und deren Antworten sich im Menüpunkt „Interviews“ finden. Mitglieder der MS Schrittmacher Gruppe haben außerdem Videos beigesteuert, die ihre Erfahrung oder Auseinandersetzung mit dem Thema darstellen. In Blogeinträgen teilen wir unsere persönlichen Eindrücke und Beobachtungen von der veränderten Choreographie des Alltags, geprägt von Maßnahmen, Entwicklungen und Erkenntnissen der Pandemie, und ebenso wird unser Arbeitsprozess, den wir dokumentieren, anschließend auf diesem Blog erscheinen.
Wir freuen uns auf eure Anmerkungen und Fragen
Euer MS Schrittmacher Team