19 May
19May


ICH SCHAUE auf die digitale Choreographie meines Alltags. Wie hat sie sich verändert? Wie sehr hat meine Online-Kommunikation meine Offline-Kommunikation ersetzt? Welche Bereiche meines Lebens haben sich seit dem März 2020 ins Internet verlagert? Und wie geht es mir damit? 

Ich bin sehr internetaffin. Twitter und Instagram waren auch schon vor der Pandemie fester Bestandteil meines Lebens. Meine Kolleg*innen kennen, und fürchten wahrscheinlich auch, meine Endlos-E-Mails, die ich während laufender Projekte mit meinen Gedanken fülle. Auf dem Land lebend bin ich es gewohnt, sehr viele Dinge, die ich brauche, online zu bestellen. Streamingdienste kommen meinem Bedürfnis, Filme und Serien zu schauen, wann immer ich es möchte, sehr entgegen. Auch, wenn ich die Vergütung für Künstler*innen teilweise mehr als kritisch betrachte, genieße ich doch die gigantische Auswahl, die mir Streaming beschert. Ich bin kein Digital Native, aber ein Leben ohne Netz kann ich mir nicht mehr vorstellen. 

Als die Pandemie begann und Präsenztreffen unmöglich machte, hielt Zoom sehr schnell Einzug in mein Leben. Zunächst fremdelte ich mit dieser Art von Kommunikation. Ich hatte bis dahin selten geskyped, war eigentlich nie ein Fan von Videotelefonie und empfand diese Art und Weise zu kommunizieren sehr anstrengend. Aber meine anfängliche Ablehnung legte sich, sobald ich die Möglichkeiten einer Online-Konferenz entdeckte. Dokumente zu teilen und zu diskutieren, gleich zu verändern, Protokolle gemeinsam im Chat zu verfassen, das alles machte vieles leichter, angenehmer und effektiver in der Arbeit und im politischen Engagement. Vor allem die Zeit, die ich für die Fahrt von der Oder nach Berlin und zurück einsparte, wusste ich sehr zu schätzen. Und ich tue es auch heute noch. Kontinuierlich an einem Projekt arbeiten zu können, während wir uns an den unterschiedlichsten Orten Deutschlands und Europas befinden, ist fantastisch. Ich glaube, obwohl diese Möglichkeiten auch vor der Pandemie schon gegeben waren, dass wir ohne Corona nicht auf die Idee gekommen wären, so intensiv auf diese Weise zu arbeiten. Auf eine Weise, die Zeit, Geld und auch jede Menge Stress spart, indem ich vieles, vor allem Orga, auch mal in kurzen Online-Meetings abklären oder erledigen kann. Für mich auf dem Land, bedeutet das eine Zeitersparnis von drei bis vier Stunden pro Treffen, die ich nun konstruktiver nutzen kann als im Auto zu sitzen. Und auch der Ärger über ein Treffen, bei dem nicht viel herausgekommen ist, hält sich in Grenzen oder kommt gar nicht erst auf. Mir haben diese Online-Konferenzen mehr Leichtigkeit in der Arbeit beschert. Eine Veränderung meiner Alltagschoreographie, die ich sehr schätze. 

Aber ich bemerke auch die Grenzen und Nachteile von Online-Konferenzen. Manche sind unmittelbar, andere machen sich eher auf der langen Strecke bemerkbar. 

So habe ich das Gefühl, dass die Möglichkeit jede und jeden immer und überall online treffen zu können, die Hemmschwelle gesenkt hat, dies auch immer und überall zu tun. Treffen, die in vorpandemischen Zeiten niemals von heute auf morgen anberaumt werden konnten, finden heute ad hoc statt. Das hat sicherlich auch große Vorteile. Aber ist unsere Verfügbarkeit in der Pandemie genau dadurch nicht auch noch gewachsen? Und denken wir wirklich noch genau darüber nach, was wir in einem Treffen besprechen wollen und ob es wirklich nötig ist? 

Ein weiterer Punkt, der ganz bestimmt auch mit der Pandemie an sich und dem damit verbundenen Mangel an Kommunikation zu hat, ist die Qualität von Online-Kommunikation. Wie ich bereits erwähnte, kommuniziere ich schon lange sehr viel online. Aber vor dem März 2020 gab es daneben auch immer eine Offline-Kommunikation. Sprechen, sich ansehen, miteinander in direkten Kontakt treten von Angesicht zu Angesicht. Das fehlt. Es fehlt so sehr. Ich arbeite im Moment an mehreren Projekten mit Kolleg*innen, die ich teils vorher kannte, teils nicht. Seit Beginn dieser Projekte habe ich niemanden von ihnen offline gesehen. Alles, was wir miteinander planen, organisieren und kreativ gestalten findet online statt. Das ist möglich und schlägt sich meines Erachtens auch nicht auf die Qualität unserer Arbeit aus. Aber es fühlt sich auch manchmal einfach nicht gut an. Ich habe das Gefühl, dass das Teamgefühl, was ich für meine Arbeit brauche, ein anderes ist. Nicht, dass es nicht vorhanden wäre. Doch es ist intellektueller, weniger emotional. Es gibt Punkte, an denen ich es mir bewusst wieder klar machen muss, es herstellen muss. Das Problem ist, dass insbesondere das emotionale Teamgefühl, dasjenige ist, was mir Sicherheit im künstlerischen Prozess gibt. Ich spare also Zeit, Geld und Energie, zahle aber einen Preis, der mir auch zu schaffen macht. Die Choreographie meines Alltags hat sich nicht nur auf der körperlichen Ebene, sondern auch auf der emotionalen Ebene verändert. In einem Bereich, der weniger mit während Corona viel diskutierten Themen wie Einsamkeit, Wut oder psychischer Erschöpfung zu hat, als mit Sicherheit und Rückhalt. 

Die Ausschließlichkeit meiner digitalen Kommunikation in der Pandemie hat mir einen Aspekt dieser Form miteinander in Kontakt zu treten offenbart, der mir nie so deutlich war, wie momentan. Das Trennende. 

Wir reden immer davon, dass das Internet uns alle miteinander verbindet und uns ermöglicht, Menschen kennenzulernen, denen wir sonst nie begegnet wären. Was wir diesbezüglich aber fast immer vergessen, ist, dass uns dabei immer der Bildschirm trennt. So emotional, so schön und bereichernd ein Online-Austausch auch sein mag, der letzte, der wirkliche Kontakt fehlt. Und ich glaube, erst jetzt fällt mir auf, wie sehr. Wohl auch, weil ich zeitweise ganz froh bin, für mich allein zu sein, und zwischenmenschliche Kontakte meide. Vielleicht wird diesbezüglich Corona mehr in meinem postpandemischen Leben verändern, als ich ahne. Der Punkt jedoch an dem mir das Trennende des World Wide Web am stärksten auffällt, ist der kreative Prozess. Hier stoße ich nicht nur an Grenzen, hier scheitere ich auch. Der künstlerische Prozess, wie ich ihn kenne, in seiner ganzen Lebendigkeit, ist mir online nicht möglich. Das Bälle zu werfen, den Gedanken im Raum spüren, ebenso wie das Hadern, den Zweifel, die heiß geredete Luft, der Streit, der im Raum liegt, das verbindende Gefühl, wenn etwas Neues Gestalt annimmt, oder beginnt seine volle Schönheit zu offenbaren, all das findet allerhöchstens abgedimmt durch den Filter des Bildschirms statt und entfaltet niemals den Zauber, den es sonst hat. Einen Zauber, den ich viel zu oft viel zu wenig schätzen gewusst habe. Wenn das Trennende im Raum steht, kann nichts entstehen, was das Verbindende zur Grundlage hat. Das heißt nicht, dass künstlerische Arbeit unmöglich ist und nichts Wunderbares entstehen kann. Es bedeutet nur, dass ich viel mehr aus mir allein schöpfen muss, viel mehr Einzelkämpfer sein muss. Dass uns nur bleibt, uns gegenseitig genau darin zu unterstützen. 

Was zu meiner Überraschung jedoch sehr gut in meiner digitalen Choreographie des Alltags funktioniert, ist gestreamte Kunst im Netz. Trotz meiner Internetaffinität hatte ich für Online-Videos von Theaterstücken oder Performances nie viel übrig. Und ich empfinde es immer noch so, dass für die Bühne produzierte Produktionen als Video oder Stream ihren Zauber verlieren, oder zumindest eine Menge davon einbüßen. Von Anfang der Pandemie an dachte ich, dass es an uns Künstler*innen liegt, anders und kreativ mit dem uns nun teils ausschließlich zur Verfügung stehenden Medium Internet umzugehen. Und viele taten genau dies und nutzten die Möglichkeiten des Internets, haben auf der Bühne filmischer gedacht, inszeniert und umgesetzt. Sind online neue Wege gegangen, haben andere Formen der Lecture Perfomance ausprobiert, integrierten Webkonferenzen, sind in viel intensiverer Form mit ihrem Publikum in Kontakt getreten. Dazu kommt, dass ich die Kunst, die ich in letzter Zeit online gesehen habe, offline aufgrund der Entfernungen nie gesehen hätte. Für uns Menschen auf dem Land ist für Online produzierte Kunst eine Bereicherung. Ich bin gespannt wie diese Entwicklung in den nächsten Jahren weitergeht. Auch für mich selbst. 

Zum Schluss eine Beobachtung, die ich am allerwenigsten erwartet hätte. Publikumsgespräche sind mir für gewöhnlich ein Graus. Nicht, weil mich der Austausch zwischen Künstler*in und Zuschauer*in nicht interessieren würde. Aber meistens läuft es darauf hinaus, dass sich hauptsächlich die Meinungsstarken und Lauten bei Publikumsgesprächen Gehör verschaffen und Fragen stellen. Eher leise und zurückhaltende Menschen bleiben leider oft eher Zuhörer. Wobei mich die Fragen, derjenigen, die mehr suchen als wissen, deutlich mehr interessieren. Dementsprechend wenig Lust hatte ich auf ein Publikumsgespräch nach einem Livestream auf Kampnagel letztens. Und wurde eines besseren belehrt. Das Prinzip der sozialen Medien, das der Lauteste und Plakativste, die meiste Aufmerksamkeit bekommt, kam hier überhaupt nicht zum Tragen. Ich hatte das starke Gefühl, dass im Chat genau diejenigen die Fragen stellten, die sich sonst bei Publikumsgesprächen im Theater nicht trauen. Und so entstand durch spannende Fragen und vielleicht auch den geschützten Raum der fast menschenleeren Bühne ein sehr interessanter Austausch zwischen Künstler*innen und Publikum. Ein Publikumsgespräch, von dem ich mir mehr wünsche. Und den weißen alten Theatermenschen, der erst eine halbe Stunde über Brecht doziert, um dann eine fünfteilige Frage zu stellen, die niemand versteht, habe ich nicht vermisst. 

Ich freue mich auf die Zeit, in der wir wieder sicher und sorglos in direkten zwischenmenschlichen Kontakt, ohne das Trennende unseres Bildschirms, treten können. Doch bei einem bin ich mir sicher. Die digitale Choreographie meines Alltags hat sich nachhaltig verändert, über das Ende dieser Pandemie hinaus. Und in vielem davon liegt auch eine große Chance.



HS



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