06 Feb
06Feb


ICH ERINNERE mich sehr gut an das Bild, wie vier Menschen sich trotz Corona gemeinsam durch eine Tür in einem Rohbau quetschten. 

Es war kurz vor Weihnachten 2020 in NRW. Eine sehr gute Freundin von mir und ich erschienen zu einer Wohnungsbesichtigung, die darüber entscheiden sollte, ob sie diese Wohnung bekommen würde. Wir waren zunächst zu viert. Meine Freundin und ich, beide selbstverständlich mit Maske, und die Maklerin und der Bauleiter, ebenso selbstverständlich ohne. Auch Abstand voneinander zu halten, war von Anfang an kein Thema. Aber nicht nur Abstand. Corona schien in diesem Rohbau grundsätzlich nicht zu existieren. Als der Bauherr, natürlich ohne Maske, zu uns stieß, begrüßte er alle Anwesenden mit Handschlag. Als ich ihm diese Art der Begrüßung, im Gegensatz zu meiner Freundin, verweigerte, reagierte er sehr pikiert. Für ihn zählte Höflichkeit anscheinend mehr als Infektionsschutz. Schließlich kam noch ein maskenloser Handwerker dazu, der uns anhand von Plänen erklärte, wo welche Anschlüsse in der Wohnung installiert werden würden. Keinen Abstand zu halten toppte der Mann locker, indem er bei seinen Erläuterungen fast Körperkontakt zu uns aufnahm. 

Gemeinsam besichtigten wir nun die geräumige Rohbauwohnung und meine Freundin und ich bleiben die einzigen, die weiterhin Maske trugen und auf Abstand achteten. Während die rauchende Maklerin, Bauleiter und Bauherr sich verhielten als habe es nie eine Pandemie gegeben, war es für uns ein ständiges Ausweichen. Dabei war es wirklich kein Problem auf 120 qm zwei Meter Platz zwischen sich und anderen zu lassen. Aber jedes Mal, wenn wir den Raum wechselten, quetschten sich die vier zusammen durch eine Rohbautür, als bliebe ihnen keine andere Möglichkeit.

Anschließend gingen wir gemeinsam dichtgedrängt durch das Treppenhaus um die Waschküche zu besichtigen, als der Bauherr scherzhaft meinte „Der Fahrstuhl funktioniert ja noch nicht“. In diesem Moment war ich heilfroh, dass wir uns in einem Rohbau befanden und es noch keinen Fahrstuhl gab, in den sich alle gequetscht hätten und es wohl auch von uns erwartet hätten. Vor dem Gang in den Keller, habe ich dann gepasst, bin nur noch raus und wartete draußen auf meine Freundin. 

Als sie nach der Besichtigung zum Auto kam, fragte sie mich augenblicklich nach Desinfektionsmittel. Ich fragte, warum sie dem Bauherrn die Hand gegeben hatte und meine Freundin berichtete mir von ihrem Konflikt, den sie in diesem Moment durchlebt hatte. Sie wollte dem Mann eigentlich auf keinen Fall die Hand geben. Innerlich war sie zunächst sogar zurückgezuckt.  Aber sie stand unter dem Druck, diese Wohnung unbedingt zu wollen. Da die Besichtigung darüber entschied, ob sie die große Wohnung mit dem weiten Blick bekam, hatte sie ebenso Angst unhöflich zu wirken. Letztlich war es eine Mischung aus Angst und Reflex, die sie dazu brachte, dem Bauleiter trotz Corona die Hand zu geben. 

Bei dieser Wohnungsbesichtigung habe ich mich gefühlt, als sei ich ständig auf der Flucht und war gezwungen eine Art von „Ausweich-Choreographie“ zu vollziehen. Dadurch, dass wir uns in einem Rohbau befanden, kam zwar immer noch frische Luft durch die Fensteröffnungen, aber durch das unvernünftige Verhalten der Maklerin, des Bauleiters, des Bauherren und des Handwerkers habe ich mich körperlich bedroht gefühlt.


MSt



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