04 Feb
04Feb


ICH WEISS genau, nach dem Ende der Pandemie, will ich nicht zurück in diese „Normalität“. 

Eine Pandemie hat nichts Gutes an sich. Sie ist eine Naturkatastrophe. Aber unser Umgang mit dieser Krise kann durchaus positive Aspekte haben, wenn nicht sogar Dinge zum Besseren wenden. Dafür aber müssen wir genau hinschauen. Corona hat uns viele gesellschaftliche Baustellen aufgezeigt oder sie deutlicher in den Focus gerückt und uns bewusst gemacht, an welchen Stellen wir weniger weit sind als wir dachten. Versäumnisse bei Digitalisierung und Pflege verschärfen die Krise, Homeoffice und Homeschooling beweisen, dass Haus- und Care-Arbeit immer noch hauptsächlich von Frauen geleistet wird. Zu wieviel „Normalität“ wir als Gesellschaft wieder zurückkehren und was wir ändern wollen, haben wir selbst in der Hand. Aber auch ein Blick auf unsere ganz individuelle „Normalität“ lohnt sich. Ich hätte auch ohne Corona darauf kommen können, aber ich brauchte den Lockdown als meinen Lehrer, um zu erkennen: Einige Aspekte meiner Lebensweise vor Corona machen mich krank. 

Der Lockdown hat mich entschleunigt und gleichzeitig in Bewegung gebracht. 

Ende Oktober haben mein Mann und ich uns freiwillig in einen Lockdown begeben, den wir bis heute praktizieren. Fahrten zum Supermarkt oder an die Oder für einen Spaziergang mit den Hunden sind seither alles, was wir außerhalb unseres Hauses und Gartens unternehmen. Ein einziges Mal trafen wir zwei Leute bei uns zuhause. Als wir mit dem Lockdown beginnen, bin ich in keinem guten körperlichen Zustand. Übergewicht, Arthrose und Rückenprobleme schleppe ich schon lange mit mir herum. Nach einem stressigen Sommer, in dem ich mal wieder mein Arbeitspensum maßlos übertrieben habe, kommen jetzt noch Atemnot und massive Erschöpfung dazu. Auch das ist nichts Neues für mich. Eine ähnliche Situation hatte ich bereits im Jahr zuvor. Teil einer immer wiederkehrenden „Normalität“ in meinen Leben ist es, meine körperlichen Bedürfnisse den alltäglichen Anforderungen unterzuordnen und nicht umgekehrt. Bewusst ist mir das zu Beginn unseres Lockdowns noch nicht. Über meine (körperlichen) Grenzen zu gehen habe ich all die Jahre als Notwendigkeit meines Daseins als freischaffender Künstler akzeptiert. Meine Erschöpfung zwingt mich in eine Erholungsphase mit viel Schlaf und nur den notwendigsten Arbeiten. Bis hierhin alles „normal“. Die Veränderung setzt ein, als ich wieder Kraft schöpfe, unruhig werde und wieder etwas tun will. „Normalerweise“ stürze ich mich jetzt in Arbeit und Aktivität. Spätestens als ich beginne launisch und mürrisch zu werden und mir selbst auf die Nerven falle. Aber selbst die Oderspaziergänge, die mich ablenken könnten von mir selbst, sind bald nicht mehr möglich, weil sich zu Corona noch die Afrikanische Schweinepest in Ostbrandenburg dazugesellt und der Fluss mit Elektrozäunen abgesperrt wird. 

Die Veränderung beginnt mit einem eigentlich nervigen Rückenyoga-Video, dass mein Mann mir aufs Handy schickt, weil die Rückenbeschwerden einfach nicht aufhören wollen. Darin begrüßt mich, begleitet von Meditationsmusik, eine junge Frau im Säuselton. „Hi, ich heiße Rebecca und heute werden wir zusammen n paar Übungen machen, um Stress abzubauen und unseren Rücken zu stärken.“ Anschließend turnt Rebecca mir die Übungen vor, wobei sie sich zusammenreißen muss, nicht zu lachen, um mich schließlich aufzufordern: „Wir fokussieren uns auf unseren Atem und lächeln dabei“. So weit so schlimm. Ich kann esoterisches Gerede nur schwer ertragen. Aber ich tue es trotzdem. Und entspanne. Ich mache weiter mit dem Yoga, obwohl sich mein System mit Händen und Füßen dagegen wehrt. Doch gegen zwanzig Minuten Yoga, die meine Rückenschmerzen lindern, kommt es schwer an. Nach ein paar Tagen muss mein System einen weiteren Angriff vertragen. Die Entspannung macht mich ein kleines bisschen süchtig und ich beginne mit 5 Elemente Qi Gong. Dieses Mal leitet mich Wolfgang mit getragener, leicht heiliger Stimme durch die Übungen. Ich lerne schnell den Ablauf, um seine Stimme besser ausblenden zu können, was mir, im Gegensatz zu Rebeccas Stimme gelingt. Meine Entspannung vertieft sich. Mein System fährt starke Waffen auf. Arbeit und Deadlines stehen an. Ab und an habe ich keine Lust auf die Übungen und muss mich überwinden. Mittlerweile laufe ich im Anschluss eine Stunde auf einem kleinen Trampolin. Etwas, was ich lange vernachlässigt habe, um abzunehmen. Mein Sportprogramm umfasst jetzt zwei bis zweieinhalb Stunden. Ohne die Hundespaziergänge. Mein Blutdruck ist immer noch zu hoch, aber deutlich besser. Auch die Rückenschmerzen und die Arthrose im Fuß sind besser. Ich verliere Gewicht, bin fitter, bewege mich sicherer und aufrechter und gehe gelassener durch den Tag. Und zu meiner Überraschung will ich das nicht aufgeben. Dieses sich um mich selbst kümmern hat was. Ich entscheide mich bewusst dazu meine körperlichen Bedürfnisse über die Anforderungen des Alltags zu stellen und entwickele ein Gefühl für meinen Körper, dass ich lange nicht mehr hatte. Dies ist auch der Moment, an dem ich beginne, tiefgehender darüber nachzudenken, was mich vorher krank gemacht hat. Ich begreife, dass es das Ungleichgewicht zwischen den Anforderungen des Alltags, meist Arbeit, und meinen körperlichen, aber auch geistigen Bedürfnissen ist. Ich begreife das auch, weil um mich herum mittlerweile auch alles in den Lockdown gegangen ist und Runterfahren sich ganz natürlich anfühlt. Denn meine Arbeit verrichte ich, wie auch vorher zuhause. Und ich verrichte sie weiterhin. Aber eben halbtags. Die andere Hälfte ist schon voll mit Yoga, Qi Gong, Trampolin und Zeit, die ich mit meinem Mann und den Hunden verbringe. Meine Tagesstruktur verändert sich. Die Zeit für mich und meinen Körper ist fester Bestandteil meines Alltags geworden. Mein neues „Normal“ weist meiner Arbeit einen neuen Platz zu, der ihr gut bekommt. Ich erledige sie lieber, ich bin beweglicher auch in meinen Gedanken, fasse mutigere Pläne und bin kreativer. Disziplin ist nicht mein Problem und so arbeite ich regelmäßig vier Stunden konzentriert. Ich erinnere mich an eine Psychologin, die mir einmal erzählte, zu mehr als vier Stunden konzentrierter Arbeit sei der Mensch nicht fähig. Und ich lächle dabei.


HS