Wie verändert Corona die Choreographie des Alltags? 



Wie hat sich deine alltägliche Struktur verändert? 

Veränderung der alltäglichen und familiären Organisationsstrukturen – Ich erlebe in dieser Zeit vielfach instabile Regeln für die Verteilung von Zuständigkeiten in der Familie. Diese Regeln entstehen heute seltener aus einer langfristigen und nachhaltigen Perspektive (Zeit & Raum) aller Beteiligter - damit ging vor Corona vor allem einher, eine faire und verträgliche Verteilung von Zuständigkeiten auf alle Familienmitglieder -, vielmehr bestimmen heute die coronabedingten „Notsituationen“ (z.B. plötzliche häusliche Quarantäne, Lockdown im Sportverein, etc.) und geänderten Rahmenbedingungen im Alltag (Maskenpflicht, social distancing, etc.), die alltäglichen und familiären Organisationsstrukturen. Alltagsplanung ist zum Tages- wenn nicht Stundengeschäft geworden. Die Auswirkungen auf Raum und Zeit sind demnach enorm. Die zurückliegende Stabilität in der Verteilung von Zuständigkeiten, auch die ausgewogene Balance der schieren Menge von Zuständigkeiten auf alle Familienmitglieder, ist zu Coronazeiten nur noch selten möglich. Der positive Mehrwert von „Raum und Zeit“ für Familie und Alltag war im Frühjahr deutlich spürbar, jedoch ist dieses Gefühl heute auf Grund der geänderten äußeren Rahmenbedingungen (CH-Strategie zum Umgang mit Corona) grundlegend ist negative gekehrt worden.

 Veränderung der beruflichen Organisationsstrukturen - Die sich ständig veränderten Organisationsstrukturen in der Familie erhöhen regelmäßig den Druck auf die bestehenden Strukturen im Beruf. Die Notwendigkeit zur Betreuung und Versorgung der eigenen Kinder ist dabei einer meiner größten Einflussfaktoren. Die alltägliche „Hilfe von Außen“ (Schule, Lehrer, Sportverein, Musikschule, etc.) kann mittlerweile unvorhergesehen wegfallen. Damit ist neben den organisatorischen Zuständigkeiten - Wer ist wann im Homeoffice? Wer kümmert sich wann und wie um die Versorgung bzw. um das Home-Schooling während Lockdown bzw. Quarantäne? – insbesondere auch die berufliche Organisationsstruktur tangiert. Termine müssen plötzlich im Einklang mit den privaten Zuständigkeiten spontan verschoben oder Geschäftspartner in die private Situation integriert werden bzw. können von mir verbindliche Verpflichtungen gänzlich nicht mehr eingehalten werden. Die berufliche Organisationsstruktur leidet zunehmend unter Zeitnot und fehlender Stabilität. Aber auch die Faktoren Qualität und Quantität sind stark negativ beeinflusst und können zu Konflikten mit dem Arbeitgeber führen. Der aus dieser Situation resultierende Negativdruck im beruflichen Alltag, spiegelt wiederum zurück in das private Umfeld; ein Teufelskreislauf, der nur unter großen physischen Kraftanstrengungen zu unterbrechen ist. Im beruflichen Umfeld ist für mich leider nur sehr selten erlebbar, dass Corona auf diese neue Struktur und den Faktor Zeit, einen positiven Einfluss hat. 

Veränderung der Beziehungsstrukturen – Corona stellt heute tatsächlich alle Dimensionen von Beziehungen zwischen Menschen auf die Probe, sei es im privaten Umfeld (Familie und Freundeskreis) wie auch im beruflichen Miteinander (Vorgesetzte, Kollegen, Kunden, etc.). Die eigene Person agiert für sein Außen viel häufiger in einem erlebbaren Krisenmodus; was teilweise als instabil, unzuverlässig, oder gar chaotisch wahrgenommen werden kann. Damit ist der subjektive Blick der Mitmenschen auf die eigene Person plötzlich negativ beeinflusst. Das daraus resultierende Konflikpotential ist Neuland für alle, da zum Einen die bisher nach Außen sichtbaren Wertekonstanten (Zuverlässigkeit, Qualitätsanspruch, Verbindlichkeit, etc.) zunächst im eigenen Wesen ins Wanken geraten sind und zum Anderen der Gegenüber z.B. Bedürfnisse, Erwartungshaltungen oder Alltagspflichten, nicht mehr zur eigenen Zufriedenheit als gelöst betrachten kann. Dennoch sind auch viele positive Auswirkungen für mich spürbar geworden. Gelebte Solidarität, Hilfestellungen und Fürsorge sind mittlerweile ständige Begleiter und sorgen für eine neue Qualität innerhalb meiner menschlichen Beziehungen. 

Veränderung der psychischen Strukturen – Hierbei handelt es sich nach meinem Empfinden um den nachhaltigsten Einflussfaktor, da die Veränderung der psychischen Strukturen eine grundlegende Wesensveränderung nach sich zieht/ziehen kann. Corona erfordert eine bewusste Auseinandersetzung. Sorge, Angst, Ungewissheit, Hilflosigkeit, Hilfestellung, Funktionieren, Chaos, fehlende Leichtigkeit, fehlende Freiheit, etc., sind negative Einflussfaktoren auf die menschliche Psyche, die eine Pandemie unweigerlich mit sich bringt. Der täglichen Flut von negativen Informationen ist man „hilflos“ ausgesetzt. Die Veränderung unseres alltäglichen Lebens, des Miteinanders, der beruflichen Veränderung, bis hin zur Sprache, ist nachhaltig. Die neuen Verhaltensregeln im alltäglichen Leben sind in einigen Facetten unumkehrbar. Das eigene Mind-Set erfährt somit eine radikale Veränderung, die sich sowohl positiv als auch negativ bemerkbar macht. In Krisenzeiten definiert der Mensch seine persönliche Wahrheit aufs Neue. Die Fragen der eigenen Existenz und der Sinnhaftigkeit rücken in den Vordergrund. Das bisherige Leben steht plötzlich auf dem Prüfstand. Welche Auswirkungen diese Veränderung mit sich bringen kann, wird sich mit der Zeit zeigen. 


Wie hat sich Corona und die damit einhergehenden Veränderungen auf deine Körperlichkeit ausgewirkt? 

Corona wirkt sich nahezu halbierend auf meine Körperlichkeit aus. Meine innerlich gefühlte Körperlichkeit nimmt zu, zeitgleich verringern sich im gleichen Verhältnis die Momente meiner äußerlich empfundenen Körperlichkeit. Natürlich ist meine Körperlichkeit heute viel stärker von äußeren Faktoren und den geänderten Strukturen limitiert/bestimmt. Die Nähe/der Austausch zu Menschen ist zudem häufig auf ein „risikoloses“ Minimum beschränkt. Die Momente um den eigenen Körper in die Relation/Umgebung zu einem anderen/unbekannten Körper setzen zu können, sind weniger geworden. Die Übertragung von körperlichen Energien fehlt mir. Ich würde daher sagen, dass meine Körperlichkeit heute Ich-dimensionaler und weniger von Außenimpulsen stimuliert ist. Zwar habe ich das Gefühl, dass meine innere Körperwelt geschärfter, bewusster und intensiver ist und die Konzentration auf die eigenen Ressourcen viel positives bewirkt, dennoch fehlt dieser andere Teil der Körperlichkeit um mich als Ganzes zu fühlen. 


Bewegst du dich durch Corona anders durch den Alltag? Wenn ja, wie? 

Ja. Meine Bewegungsfreiheit ist von äußeren Faktoren und den geänderten Strukturen limitiert/bestimmt. Maskenpflicht, fehlender Arbeitsweg, eingeschränkte Reisefreiheit, physische Einschränkungen beim Sport, dennoch gefühlt mehr Bewegung Outdoor, etc. sind hier für mich die spürbarsten Veränderungen zur bisherigen Normalität. Aber auch die dazu in Bezug stehende „innere Bewegungsfreiheit“ hat sich ein wenig verändert: Das bewusste Abstandhalten, das langsamere Hinterhergehen/schnellere Überholen, der bewusste Wechsel der Straßenseite oder die generelle Vermeidung größerer Menschenmengen durch Umwege, sind spürbar gravierende Neuanpassungen im gedanklichen Bewegungsablauf. Die Grundintension „Risikovermeidung“ nimmt einen angepassten Einfluss auf meine (Gedanken)Bewegungen im Alltag. 


Was beobachtest du bei anderen Menschen an Bewegungsveränderungen oder Veränderungen in der Körperlichkeit?

Häufig beobachte ich eine Gewichtszunahme, Unsicherheiten im sozialen Verhalten, physischen Abstand zu mir und ein eingeschränktes/belastetes Mind-Set z.B. auf Grund von Ängsten, Unsicherheiten, Existenzfragen, etc. und spürbar präventives Denken (Risikovermeidung) sowie eine deutlich eingeschränktere Themenvielfalt.


Was fehlt dir körperlich durch Corona? 

Die physische Körperlichkeit! Umarmungen, Nähe, die Energien anderer Körper. 


Welche körperlichen Aktivitäten oder Handlungen, die seit Corona aus dem Alltag verschwunden sind, fehlen dir überhaupt nicht?

Ich kann körperliche Aktivitäten oder Handlungen dahingehend nicht selektieren. Grundsätzlich fehlt mir alles, was auf Grund von Corona-Rahmenbedingungen plötzlich nicht mehr möglich ist/sein darf.


Fühlst du dich seit Ausbruch von Corona anderen Menschen näher oder ferner? 

Beides. Das kommt auf den Menschen an und auf das Maß des Anpassungsverhalten/Wesensveränderung (positiv wie negativ).


Wann nimmst du andere Körper im Alltag als Bedrohung war? Wann nimmst du deinen eigenen Körper als Bedrohung für andere wahr? 

Bisher hatte ich keine dieser Wahrnehmungen. 


Welche Elementaren Gewohnheiten haben sich für dich verändert und wie musst du umdenken?

Die Einschränkung meiner Reisefreiheit ist gravierend für mich. Auch die fehlende Möglichkeit zur körperlichen Nähe zu Menschen. Umdenken fällt mir schwer und darum befasse ich mich eher damit, diese Gewohnheiten präsent zu behalten, darauf aufzupassen und auf die erste Gelegenheit zu warten, diese wieder aufleben zu lassen. Außerdem finde ich es schwierig, dass unsere Kinder gerade nicht in derselben Normalität aufwachsen, wie ich das erleben durfte. Corona prägt unsere Kinder in Bezug auf deren Beziehungskompetenzen, Sozialkompetenz und Freiheitsdrang/Freiheitsbedürfnis und bremst hier aus meiner Sicht nachhaltig die Entwicklung der jungen Menschen. Doch auch hier vertraue ich darauf, dass sich die Zeiten ändern werden und dass nun Unterdrückte, wieder ausgelebt werden kann. 


Was hat sich zwischenmenschlich/körperlich verändert? 

Das persönliche Verhältnis von Distanz und Nähe 


Was hat sich für dich Körperlich- zwischenmenschlich positiv verändert?

Körperlich sehe ich keine positiven Veränderungen. Zwischenmenschlich ist es für mich die spürbar größere Achtsamkeit und durch das Schärfen des eigenen Bewusstsein, auch die oftmals sichtbarere Empathie zueinander.